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Ausgabe Januar 2024

Sparkassenfiliale: Umstrukturierung ist Rückbau

Automatisierung der Filiale – Eingeschränkter Service ohne Personal-Altersdiskriminierung – Abbau von Gemeinwohl und Solidarität?

Offener Brief an die Kreissparkasse Steinfurt:

Sie beabsichtigen den Komplettabzug des Personals und die damit verbundenen weiteren Einschränkungen des Services in Metelen. Ich nehme hiermit die Möglichkeit wahr, meine persönliche Meinung aus Sicht eines Kunden öffentlich zu äußern. Bitte setzen Sie auch den seit Januar 2024 neu amtierenden Sparkassenpräsidenten Herrn Prof. Dr. Ulrich Reuter (CSU) über meine Bedenken in Kenntnis.

Welche Änderungen sind zu befürchten?

  • Überweisungen mit Überweisungsträger sind zukünftig nicht mehr möglich. Die Formulare können laut Auskunft nicht mehr abgeholt werden.
  • Einzahlungen von Münzbeträgen sind durch die ausschließliche Automatisierung bald ausgeschlossen.
  • Pädagogische Aspekte (Weltspartag für Kinder) und frühzeitige Bindung an ein Institut verlieren ihre Bedeutungen.
  • Tresore werden nicht mehr zur Verfügung stehen. Wichtige Dokumente und Wertsachen können nicht mehr sicher verwahrt werden.
  • Technische Störungen verhindern die sichere und freie Verfügbarkeit von eigenem Bargeld. Beispiele sind: Funktionsstörungen, IT-Problem, Sttromausfälle, Cyberkriminalität, Verlust – oder Schädigung der Bankkarte usw.
  • Die täglich für Kunden verfügbare Auszahlungssumme wird durch die Automaten auf (in der Regel) nur 1.000 Euro täglich beschränkt.
  • Nicht ausreichende Geldscheinbevorratung ist zu erwarten: Bereits gab es Defizite bei einer Auszahlung von 1.000 Euro: Ein Bündel von 57 Gelscheinen – davon 34 Stück 5 Euroscheine (!) am 19.12.2023 passen in keine Geldbörse!

Schöne Bescherung, Automat am Limit?

  • Ein uneingeschränkter Zugriff auf eigenen Konten in Krisen und persönlichen Ausnahmesituationen wird im automatisierten Filialen nicht mehr zuverlässig möglich sein.
  • Bei einer Zunahme von Automatensprengungen und Gefährdung von umliegenden Wohnungen ist in Zukunft damit zu rechnen, dass auch Automaten abgebaut werden. Was bleibt dann?

Die reine Automation von Sparkassenfilialen richtete sich nicht nur allgemein gegen alle Kunden. Besonders betroffen sind ältere und treue Stammkunden. Hierzu zählen die 2/3 der über 60jährigen Frauen und Männer, die zu den „Offlinern“ gehören. Sie erleben zunehmend Ausgrenzungserfahrungen:

Betroffen sind     

  • 2% der unter 45-jährigen
  • 5% der 45-64-jährigen
  • 17% der 55-74-jährigen (Mz, 29.09.2023)
  • und besonders Menschen über 74 Jahren.

Der altersmäßige Zusammenhang ist nicht zu leugnen. Für diesen Teil unserer Gesellschaft entstehen fast täglich neue Barrieren in bedeutenden Lebensbereichen. Die Reaktion darauf ist oft nur wissende Ignoranz.

Der Verlust an Empathie führt zur gesellschaftlichen Spaltung

Was die Sparkasse für ein (kurzfristiges) Geschäftsmodell hält, bedeutet für Betroffene:

  • Ausgrenzung
  • Diskriminierung
  • Verlust an Selbstwirksamkeit
  • Verlusterfahrung bezüglich sozialer Sicherheiten
  • Vertrauensverlust

Gerade für ältere und treue Stammkunden schaffen Sparkassen durch die Entmenschlichung ihrer Filialen zahlreiche Gründe das Geldinstitut zu wechseln:

  • Nachlassende Auffassungsgabe mit zunehmenden Alter sowie Hilfsbedürftigkeit.
  • Vergesslichkeit in der IT-Anwendung und fehlende technische Routine.
  • ständige Neuerungen und Umstellungen (z.B. Updates).
  • Ängste vor Funktionsausfällen durch Fehlbedienung.
  • Verunsicherung durch Cyberkriminalität.
  • Finanzielle Überforderung durch Neuanschaffungen und Betriebskosten.
  • Abhängigkeiten von angebotenen Hilfsleistungen aus dem familiären oder nachbarlichen Umfeld.
  • Aufgabe von datenrechtlichen Schutz bei der Beanspruchung fremder Hilfen
  • Eine persönliche und vertraute Kundenbetreuung konnte bisher in vielen Fällen das Abheben von Geldbeträgen („Enkeltrick“) verhindern.
  • Kleine Geschäfte und Geldinstitute sind mit zunehmendem Alter wichtige Ziele und Begegnungspunkte der „Heimat“. Der Verlust lässt sich mit rein gewinnorientierten Maßstäben nicht beziffern.
  • Die Filiale in der Kreisstadt ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichen.
  • Letzteres trägt gerade nicht dazu bei, altersbedingt auf den Führerschein zu verzichten.
  • Die geplante Umstrukturierung fördert die sich verstärkende Vereinsamungsproblematik und soziale Isolation.
  • Die überwiegend altersbedingten Einschränkungen von „Offlinern“ werden nicht selten auch mit Starrsinn und Dummheit gleichgestellt. Schamgefühle unterdrücken den (berechtigen) Protest gegen eine schleichende zunehmende Altersdiskriminierung.
  • Eine automatisierte Bankfiliale (ohne Personal) führt zu einem Wohnwertverlust der betroffenen Gemeinde.
  • Betroffene verlieren früher ihre Selbstständigkeit und sind eher gezwungen, Einrichtungen des betreuten Wohnens oder ein Altersheim in Anspruch zu nehmen. Öffentliche Beihilfen werden beansprucht.
  • Ältere und bedürftige Menschen sind als erstes von der Entmenschlichung des Gesellschaftscharakters betroffen.

Wenn Maschinen nicht dem Mensch dienen
dient der Mensch der Maschine.

Die Größe des Sparkassengebäudes in der Kreisstadt Steinfurt und die damit verbundene große Anzahl der Büroräume lassen auf einen sehr hohen Personalbestand schließen. Wenn es dem Management nicht gelingt für einen Ort mit 6500 Einwohnern einen einzigen Mitarbeiter bereitzustellen, hat dies wohl auch etwas mit einer geringen Wertschätzung gegenüber dieser Gemeinde zu tun.

Die Politik hätte Möglichkeiten, angemessen darauf zu reagieren, indem sie ein Geldinstitut vorzieht und stärkt, das gemeinwohlorientierte Entscheidungen trifft. Ich schließe auch nicht aus, dass „Onliner“ sich mit „Offlinern“ solidarisieren und die Möglichkeiten für eine positive Mitgestaltung bei der Entwicklung unserer Gesellschaft nutzen. Gewisse Erwartungen an eine menschliche Zukunft veranlassen mich, die Wahl für eine richtige Entscheidung zu treffen und gegebenenfalls einen Wechsel vorzunehmen.

Wenn der Gaul stirbt, steig ab!

Entscheidend ist jetzt, ob ich mich zum Gaul oder Reiter mache…

Fazit:
Mein Eindruck ist, dass die Sparkasse auf Zahlen sieht, aber die Lebenswirklichkeit aus den Augen verliert.
Maßnahmen, die darauf abzielen, die Abschaffung von unserem Bargeld voranzutreiben, sollten einmal bis zum Ende gedacht werden. Das Vertrauen in Zahlungsmittel wurde ursprünglich durch echte Gegenwerte (z.B. Gold) geschützt. Heute entgleitet der Gegenwert und die Verfügbarkeit zunehmend aus unseren Händen und unserer Kontrolle: Sie werden durch Virtualität abgebildet. Der sich ändernde Gesellschaftscharakter erzeugt nicht nur technischen Fortschritt, sondern auch Verlierer.

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Die freundliche Angestellte der gegenüberliegenden Volksbank hat mir versichert, dass alle erforderlichen Änderungen (z.B. Daueraufträge) bei einem Kontowechsel mit zum kostenlosen Service gehören.

Mit einer fleisch- und blutlosen digitalen „Linda“ lasse ich mich nicht abspeisen. Für mich wäre das kein Fortschritt, sondern fort-Schritt hin zu einer seelenlosen Gesellschaft mit einer – im wörtlichen Sinne – praktizierenden Entmenschlichung.

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